Um 1924 konnten ausgelassene Kinder ganze Nationen umwerfen: beim Kegelspiel in ihren Zimmern. Mit der Erdkugel sollten die Kleinen jeweils einen Deutschen, Franzosen, Briten, Russen, Türken, Afrikaner, Japaner, Chinesen, Amerikaner und Indianer vom Tisch fegen. Das fröhliche Spiel war selbstverständlich harmlos – den aus Holz gedrechselten, bunt bemalten Figuren tat das Umfallen nicht weh. In den Kinderköpfen konnte das Spiel aber noch eine andere Wirkung entfalten, denn die Figuren spiegeln die nationalistische Propaganda des 1918 beendeten Ersten Weltkrieges genauso wie die kolonialen Stereotypen der Zeit.
Also zielten die Kinder auf einen grimmigen Franzosen mit Reitgerte und Pistole, einen zerlumpten Russen mit Säufernase und Schnapsflasche, einen erschrocken dreinblickenden Briten im karierten Tweed mit der Brieftasche in der Hand und einen halbnackten Afrikaner, dessen spärliche Bekleidung der Varietébühne entstammt. Längst nicht alle Figuren sind so eindeutig abwertend dargestellt, doch einzig der „deutsche Michel“ in seiner rot-blauen Weste und charakteristischen Kappe sieht der heranrollenden Kugel verschmitzt lächelnd entgegen. Auf diese Weise reflektierte selbst das Jahrhunderte alte Kegelspiel die Zeichen der Zeit.
Die schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit werden zudem in der kurzen Firmengeschichte des Herstellers, der Junker & Co. AG deutlich. Gegründet im Mai 1923 als Erzgebirgische Spielwaren AG mit Sitz in Heidelberg im Erzgebirge, wurde der Name einen Monat später in Junker & Co. AG abgeändert. Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder wechselten in rascher Folge. So wurde der Namensgeber, der Dresdner Kaufmann Robert Arthur Junker, im Juli 1923 in den Vorstand bestellt, schied aber noch vor Ablauf eines Jahres für einen Sitz im Aufsichtsrat wieder aus. Anfänglich kaufte die Firma die zu vertreibenden Waren komplett ein, später ging sie zu eigener Produktion über. Vor dem Hintergrund der Hyperinflation 1923 wurde das Anfangskapital von 10 Millionen Mark bereits einen Monat später um 15 Millionen Mark und im Dezember 1923 noch einmal um 25 Millionen Mark aufgestockt. Überlebt hat die Firma dennoch nicht. Bereits im Dezember 1925 beschloss die Generalversammlung die Auflösung der Junker & Co. AG. (SG)